Dass „von den Schöpfern von [hier Videospielklassiker einsetzen]“ noch lange kein Qualitätsmerkmal sein muss, haben schon so einige Titel beweisen können. Gerade in der jüngeren, durch Kickstarter angetriebenen Vergangenheit sind derartig beworbene Produkte gerne mal mehr, mal weniger spektakulär in Flammen aufgegangen. Doch es gibt auch tatsächlich Spiele, die dem Ruf ihrer Schöpfer gerecht werden können. Solche, die gekonnt den Stil der Klassiker, an denen sie sich orientieren, einfangen, ohne sich allein auf diese Nostalgie verlassen zu müssen. Und genau ein solches Spiel ist Thimbleweed Park aus der Feder der Maniac Mansion-Schöpfer Ron Gilbert und Gary Winnick, das sich fast wie ein geistiger Nachfolger besagten Meilensteins des Genres anfühlt und doch praktisch vollkommen auf eigenen Beinen stehen kann. Warum dem so ist, verrate ich euch in diesem Test.
Schlaflose Nacht im verschlafenen Dorf
Aber was ist Thimbleweed Park jetzt eigentlich? Das ist der Name einer amerikanischen Ortschaft, die ihre besten Tage bereits hinter sich hat und nun auch noch Schauplatz eines Mordes geworden ist. Die Agenten Angela Ray und Antonio Reyes treffen umgehend ein, um in diesem Fall zu ermitteln und schleunigst wieder das Weite zu suchen. Denn dass Thimbleweed Park eher unheimlich als gemütlich geworden ist, das wird nur allzu schnell klar. Heruntergekommene Geschäfte, verbarrikadierte Buden, ranziger Diner-Fraß… Dass hier überhaupt noch was läuft, scheint wohl allein der für das Jahr 1988 fortgeschrittenen Automatisierung durch diverse praktische Apparate verdankt zu sein. Sogar Ermittlungen in Mordfällen laufen hauptsächlich maschinell mit Hilfe vierer solcher Apparate, deren Hilfe Ray und Reyes in Anspruch zu nehmen haben. Nach klassischer Point-and-Click-Manier navigiert man den Agenten seiner Wahl – der per Schultertastenbefehl oder über Bildschirmicons jederzeit gewechselt werden kann – und sammelt zunächst einmal alles auf, was nicht niet- und nagelfest ist. Wie man das vom Genre her so kennt. Thimbleweed Park legt euch dabei allerdings auch enorm viel nutzlosen Plunder ins Inventar, der höchstens für einen schnippischen Kommentar gut ist. Immerhin könnt ihr euch keines der Rätsel verbauen, sterben oder anderweitig euren Spielstand in eine Sackgasse navigieren – dermaßen stark in die knallharte Vergangenheit des Genres eintauchen wollten die Macher dann doch nicht.
Schnell wird klar, dass das Ermittlerduo nicht nur mit an dem aktuellen Mordfall zu arbeiten hat, sondern Thimbleweed Park auch einige düstere Geheimnisse zu bergen scheint. Und sei es nur, weil man wissen möchte, was zum Henker es mit den als Tauben verkleideten Klempner-Schwestern und ihrem Gefasel von Signalen auf sich hat. Dabei stoßen sogar drei weitere Charaktere zur Auswahl der spielbaren Hauptfiguren hinzu, die ihre eigenen Geschichten, Ziele und Fähigkeiten mit sich bringen. So ist Delores Edmund, eine Spiele-Entwicklerin, mit technischen Angelegenheiten bestens vertraut und kann sich im Herrenhaus ihres verstorbenen Onkels Chuck frei austoben, während sie versucht, die Verlesung des Testaments zu ermöglichen. Der fluchende Clown Ransome hingegen will eigentlich nur seine Ruhe und vielleicht auch ein Gegenmittel für den Fluch, dank dessen er seine Kostümierung nicht mehr loswird. Ihr merkt sicherlich schon: Das sind keine alltäglichen Protagonisten, die hier schlussendlich durch fleißigen Charakterwechsel zusammenarbeiten müssen. Die ausgetüftelten Objekträtsel erfordern nämlich gerne mal, dass ihr mit der richtigen Figur zur richtigen Zeit am richtigen Ort seid. Dennoch fällt der Schwierigkeitsgrad für Genre-Veteranen eher angenehm aus, da sich jede Aufgabe mit etwas Überlegung und Geduld knacken lässt. Charakterspezifische To-Do-Listen bieten zudem kleine Denkanstöße und wer wirklich nicht weiter weiß, kann sogar auf ein spielinternes Hinweissystem zurückgreifen, das einem im absoluten Verzweiflungsfall erst Tipps gibt und schlussendlich die Lösung vorkaut. Das mindert ungemein eventuell aufkommenden Frust. Neulinge im Adventure-Business können zudem einen niedrigeren Schwierigkeitsgrad anwählen, der einige der komplexeren Rätsel schlichtweg entfernt. Löblich einsteigerfreundlich, ohne Kenner zu verschrecken!
Controller-Krämpfe
Leider kommt das an sich gelungene Thimbleweed Park nicht ganz ohne Schwachpunkte aus. So sind die Charaktere klasse, die Story spannend und die Atmosphäre astrein, nur leider hapert es bei den Details. Ohne zu viel vorwegzunehmen, fällt die Handlung gegen Ende merkbar in sich zusammen, während die Figuren an Interaktion untereinander vermissen lassen. Klar können sie optional miteinander plaudern, doch wirklich handlungsrelevante Gespräche unter ihnen gibt es keine – wer nicht nachbohrt, erfährt beispielsweise nie, warum Ransome sich überhaupt mit dem bunten Trupp abgibt. Switch-spezifisch ist die Steuerung ein zweischneidiges Schwert. Die Touch-Kontrolle im Handheld-Modus emuliert recht gut das Point-and-Click-Gefühl des PC-Originals und bringt auch eine Hotspot-Anzeige als Hilfe mit. Die Controller-Steuerung ist allerdings ungefähr so ungenau und krampfig, wie man es von Adventure-Konsolenports der späten Neunziger erwartet hätte. So fühlt sich die Cursor-Führung per Analogstick seltsam träge an, weil der Zeiger bei jedem Hotspot automatisch langsamer wird, und trotz Steuerkreuz-Navigation und Schultertasten-Durchschalten anklickbarer Objekte ist das manuelle Auswählen der Verben-Kommandos ein Krampf. Das ist umso mehr schade, da es mit der Monkey Island 2: Special Edition zum Beispiel gelungenere Beispiele für Controller-Setups klassischer Adventures gibt – auch wenn dafür eben das ganze Interface erst einmal ummodelliert werden musste. Stichwort Monkey Island: Besonders hervorhebenswert ist auch die deutsche Übersetzung, die Thimbleweed Park zumindest in textlicher Form enthält. Das humorvolle Endergebnis präsentiert sich lobenswert an lokale Gepflogenheiten angepasst statt stumpf wortwörtlich übersetzt. Da schmerzt es jedoch umso mehr, dass sie stellenweise einige verzeihbare, aber trotzdem eben ärgerliche Ausrutscher enthält und gelegentlich etwas schief klingt.
Fazit: Es ist so, als wäre ich in meine Kindheit mit LucasArts-Adventures vor dem Commodore Amiga zurückversetzt worden. Thimbleweed Park greift genau die richtigen Elemente der alten Genre-Klassiker auf, ist aber eindeutig noch als moderneres, gereiftes Produkt erkennbar. Die titelgebende Ortschaft erstrahlt im düster-atmosphärischen Pixellook, der nicht an Details vermissen lässt, und schickt euch mit fünf so grundverschiedenen wie faszinierenden Charakteren auf die Suche nach Antworten – sowohl auf den einleitenden Mordfall als auch auf die Mysterien des Städtchens selbst. Die weitestgehend in sich logischen und durchdachten Rätsel lassen zudem wieder richtige Old-School-Knobelfreude aufkommen, während Anfänger und weniger frustresistende Persönlichkeiten jederzeit um eine helfende Hand bitten können, wenn sie doch mal einen Denkanstoß brauchen. Schade nur, dass dem Titel auf letzter Strecke ein wenig die Puste ausgeht und die Zusammenarbeit der Hauptfiguren mangels weitreichender, gemeinsamer Interaktionen sich mehr wie eine reine Spielmechanik anstelle eines Teils der Spielwelt anfühlt. Außerdem rate ich eindeutig zur Touch-Steuerung, da die Kontrolle per Joy-Con dank des merkwürdigen Cursor-Verhaltens eher unkomfortabel ausfällt. Doch auch trotz dieser Wehwehchen kann ich euch besten Gewissens einen Abstecher in den beschaulichen Thimbleweed Park empfehlen – denn auch wenn es das Ziel nicht unbedingt sein mag, die Reise an sich ist den Aufwand allemal wert!
Unter Tauben: Tjark Michael Wewetzer [Alanar] für PlanetSwitch.de
Vielen Dank an Terrible Toybox für die freundliche Bereitstellung des Reviewcodes.
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Düster, atmosphärisch, komisch: Ein gelungenes Mystery-Adventure, das lediglich an wenigen Stellen schwächelt.