Wisst ihr, was manchmal ziemlich cool wäre? Die Gedanken anderer Leute lesen zu können. Es wäre allerdings gleichermaßen seltsam, wenn dies mit Hilfe eines Spaghetti-Arms geschieht, der aus dem eigenen Kopf ragt. Und den man nur selbst sehen kann. Insofern ist es irgendwie verständlich, dass Ray, die Hauptfigur von Stick it to the Man etwas besorgt um sein geistiges Wohl ist. Doch in der Diorama-Welt dieser Mischung aus Jump 'n' Run und Adventure ist er eigentlich noch mit einer der normalsten Menschen, wie sich schnell herausstellt. Und warum ihr nicht nur zur Vorbereitung auf den kommenden, geistigen Nachfolger mit dem Namen Flipping Death dieses irre Abenteuer aus dem Hause Zoink Games spielen solltet, dass verrate ich euch in diesem Test.
Alles Gute kommt von oben!
Wie ist Ray eigentlich in diese merkwürdige Lage geraten? Eigentlich jobbt er als einfacher Tester für Schutzhelme und lässt sich den lieben langen Tag Gegenstände auf den Kopf donnern. Einer davon, der ihn auf der Heimreise trifft, hat dann jedoch scheinbar bleibende Schäden hinterlassen und nun ist unser Protagonist mit einem pinken Nudelarm gesegnet, der sich vielfältig einsetzen lässt. So kann er damit nicht nur astreine High-Fives verteilen, sondern sich auch an Stecknadeln in der Umgebung hängen und so zu ihnen rüberschwingen. Oder eben die Gehirne der Leute berühren und so deren Gedanken lesen. Klingt unappetitlich und wird durch das HD-Rumble der Switch-Controller sogar noch einmal verstärkt. Während ihr nämlich in den Hirnen herumstochert, fühlt ihr die wabbelige Oberfläche dank der Joy-Con-Rüttelmotoren auch noch hautnah. Ist aber natürlich alles im Sinne des ziemlich schrägen Humors, den Stick it to the Man auffährt. Entsprechend wird über Elemente wahrer Liebe philosophiert, die Gedankenwelt eines gewöhnlichen Goldfisches inmitten eines Streits seiner beiden Besitzer beleuchtet oder auch mal das Nachhallen von eigentlich längst verstorbenen Persönlichkeiten vernommen, die nach Vorfällen mit der Mafia wortwörtlich bei den Fischen schlafen.
Die Gedankenleserei dient dabei nicht nur zur eigenen Belustigung, sondern bildet zudem den Grundstein für die Puzzles. Nicht selten kommt bei diesen Gedanken nämlich ein Sticker heraus, den Ray mit seinem neuen Ärmchen einsacken kann. Diese Aufkleber lassen sich dann an anderen Orten anbringen, um – ganz der Logik der Papier- und Pappwelt gemäß – reale Eigenschaften auf ihre Umwelt zu wirken. So lässt sich ein Loch spitze einsacken, um an anderer Stelle jemanden aus einer misslichen Lage zu befreien, oder das Feuer eines Zirkusmagiers mitgehen lassen, damit eine Kanone abgefeuert werden kann. Solche Aktionen laufen intuitiv mit groben Richtungseingaben per rechtem Analogstick ab, während mit dem Steuerkreuz das überschaubare Inventar durchgeschaltet wird. Bei Letzterem lässt sich Ray zudem gerne mal zu schnippischen Kommentaren hinreißen, die die verquere Logik des Spiels schamlos zur Sprache bringen. Tatsächliche Logiklöcher bietet Stick it to the Man aber keine: Tatsächlich lässt sich jedes Puzzle lösen, da die Umstände stets eindeutig klargemacht werden. Und sollte man doch mal einen Hinweis brauchen, kann man auf der jederzeit aufrufbaren Karte alle noch nicht abgeklapperten Interaktionspunkte und unerforschte Gedanken ausfindig machen, um wieder auf die richtige Spur zu kommen.
In der Kürze liegt die Würze
Das bringt mich leider auch zu einem nennenswerten und eigentlich dem einzigen, wirklichen Manko des Sidescroller-Adventures: Es ist ziemlich kurz und nicht gerade anspruchsvoll. Die gesamte Geschichte trägt insgesamt nur rund fünf Stunden und nur etwa die Hälfte der Level bieten tatsächlich einigermaßen große Puzzle-Einlagen. Der Rest setzt sich aus klassischer Sidescroll-Action zusammen, die mehr durch den Story-Fokus als durch die Herausforderung auffällt. Die eigentlichen Knobeleien an sich sind insgesamt aufgrund der relativ überschaubaren Interaktionsobjekte auch nie wirklich komplex, wenngleich sich die Lösung der Aufgaben trotzdem befriedigend anfühlt. Ohne zu viel vorwegzunehmen, bietet gerade die zweite Hälfte ein paar wirklich merkwürdige wie denkwürdige Einlagen. Star des Spiels ist jedoch ohne jeden Zweifel der bizarre Stil und der schräge Humor.
In technischer Hinsicht braucht sich die Switch-Fassung nicht vor den anderen Versionen verstecken. Die stilisierte Papp-Welt kommt auch auf Nintendos neuer Konsole einmalig und detailverliebt rüber, Texte im Hintergrund bieten immer mal wieder zusätzliche Lacher – vorausgesetzt, man ist der englischen Sprache mächtig. Falls ihr lieber auf Deutsch zockt, seid ihr trotzdem nicht ganz verloren, denn zumindest die nicht minder komischen, englischen Dialoge sind allesamt in deutscher Sprache untertitelt und lobenswert lokalisiert.
Fazit: Stick it to the Man ist meiner Ansicht nach das Spiel, das Paper Mario: Sticker Star für den 3DS damals sein wollte: Ein durch und durch humorvoller Mix aus Adventure-Knobeleinlagen und 2D-Hüpfereien, der durch seine markante Papercraft-Welt auffällt. Anders als die Klebe-Reise des Klempners wirkt Rays spaghettiarmgesteuerte Gedankenleserei jedoch wie aus einem Guss und lässt wenig Wünsche offen. Die Dialoge sind herrlich albern und strotzen nur so vor urkomischen Bemerkungen, die sich in den Gedankenwelten der wirren Bewohner finden lassen und der Protagonist selbst ist trotz seines zögerlichen Normalo-Daseins auch nicht gerade auf den Mund gefallen. Die Puzzles mögen nur selten wirklich komplex ausfallen und könnten insgesamt auch etwas zahlreicher sein, doch was da ist, glänzt mit der kreativen Umsetzung. Schade ist da nur, dass Rays irrer Trip bereits nach rund fünf Stunden wieder sein Ende gefunden hat. So rund das Ende auch wirkt, möchte man einfach noch mehr aus dieser urkomischen Welt sehen. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass sich die Kleberei nicht lohnt. Wer auf einmalige Comedy-Adventures steht, ist jedenfalls in den besten Händen.
Leider kein Gedankenleser: Tjark Michael Wewetzer [Alanar] für PlanetSwitch.de
Vielen Dank an Zoink Games für die freundliche Bereitstellung des Reviewcodes.
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Kurz und knackig: Ein einmaliges, wenn auch nicht unbedingt anspruchsvolles Comedy-Adventure mit irrwitzigen Charakteren und einem großartigen Stil.