Weitreichende Schneelandschaften können beruhigend sein und ein komplett aus Klaviertönen komponierter Soundtrack hat auch seinen Reiz, doch ein bisschen Abwechslung ist doch auch nicht verkehrt, oder? Anders als bei I am Setsuna (zum Test) setzt Lost Sphear, das neueste Projekt von Square Enix' Tokyo RPG Factory, daher auf eine vielfältigere Fantasy-Welt, die allerdings auch nicht an weißem Schimmer spart – wenn auch eher unfreiwillig. Warum das zweite Spiel des Teams trotz einiger Verbesserungen nicht aus dem Mittelmaß kommen möchte, verrate ich euch in diesem Test.
In Erinnerungen verloren
Eigentlich beginnt der Tag des Protagonisten Kanata ganz normal. Zusammen mit seinen Freunden Lumina und Locke soll er plötzlich in seinem Dorf auftauchende Monster beseitigen und in einem nahen Wald nach jemandem schauen, der vielleicht etwas mehr weiß. Als er dann nach dem kurzen Ausflug zurückkehrt, stellt er plötzlich fest, dass anstelle des Dorfes nun ein riesiges, weißes Loch klafft. Und dieser Umstand beschränkt sich nicht nur auf Kanatas Heimat: Immer mehr Ortschaften und ihre Bewohner verschwinden plötzlich in diesem weißen Nebel. Bloß gut, dass sich schnell Kanatas eingangs ungeklärte, besondere Fähigkeit bemerkbar macht. Er ist nämlich in der Lage, Erinnerungsfragmente zu sammeln und mit diesen verlorene Menschen, Objekte oder gar ganze Landstriche wieder zurückzuholen. Eine Fähigkeit, an der das örtliche Imperium, das in dieser Sache ermittelt, auch schnell Interesse zeigt. Und so beginnt eine klassische Reise zur Rettung der Welt und der Ergründung dieses mysteriösen Phänomens.
Eine an sich interessant klingende Geschichte mit reichlich Potenzial, zumal erst nach und nach Details über Kanatas Wiederherstellungsfähigkeit preisgegeben werden und nur im voranschreitenden Abenteuer die Tragweite des Verlorengehens von Landen und Monumenten ersichtlich wird. Leider verschenkt Lost Sphear viel davon in langgezogen wirkenden Dialogen mit farblosen Charakteren. Alle Archetypen hat man schon mal irgendwo gesehen: Die schlagkräftige Kämpferin, den albernen Sidekick, den alles andere als königlich wirkenden Regenten… Das ist an sich auch nicht schlimm, doch leider macht das Rollenspiel nicht viel aus den Figuren. Stattdessen trottet man lustlos am Plot entlang schlägt sich schnurgerade durch die Gebiete. I am Setsuna bot da vergleichweise mehr Charme. Dass der deutsche Textteil – Sprachausgabe gibt es nur in Form knapper, japanischer Clips – zudem über einige Formatfehler verfügt und nicht immer sauber angepasst wirkt, stößt ebenfalls etwas sauer auf, so löblich die Übersetzung in die deutsche Sprache an sich auch sein mag.
Aufstellung ist alles!
Immerhin hat sich das Team der Tokyo RPG Factory beim Gameplay ein paar neue Tricks einfallen lassen und Feedback zum geistigen Vorgänger zu Herzen genommen. Nach wie vor trefft ihr nur in den Wäldern und Kerkern der Welt auf Monster, die zudem an festen, einsehbaren Positionen auf euch lauern. Auch wird bei der Zugreihenfolge wieder auf ein System nach dem Vorbild von Chrono Trigger und diverser Final Fantasy-Spiele gesetzt – ihr wartet also, bis sich die Aktionsanzeigen eurer Helden füllen, um dann ein Kommando auszuwählen und es ausführen zu lassen. Allerdings setzt Lost Sphear nun verstärkt auf die richtige Positionierung eurer Figuren, die ihr bei jeder Aktion ändern könnt. Gerade bei Bossgegnern ist die Aufstellung eurer Gruppe entscheidend, doch selbst zum Effektiven ausschalten kleinerer Gegner wollen flächendeckende Attacken richtig ausgerichtet werden. Jedes Manöver füllt zudem eure sogenannte Setsuna-Anzeige, die im ausreichend gefüllten Zustand eure Angriffe verstärkt und zusätzliche Attribute wie KP-Absorbtion ergänzen kann. Leider fällt auch hier der Anspruch trotz des neuen Tiefgangs eher gering aus. Statt komplexer Formationsspiele reicht in vielen Fällen eine Universal-Aufstellung, mit der man die größten Schwierigkeiten verhindert. Auch die Vulcosuits – begrenzt einsetzbare Mech-Rüstungen, die besonders kraftvolle Manöver ermöglichen – fühlen sich nur selten wie ein bedeutender Bestandteil des Spiels an, weil man sie in vielen Fällen schlichtweg nicht braucht. Eine verschenkte Chance!
Fazit: Lost Sphear versucht, eine spannende Erzählung zu spinnen, die sich in vielerlei Ansätzen auch bemerkbar macht. Eingestreute Hinweise über die wahre Natur von Kanatas Gabe oder den Stand der Welt wecken Interesse und regen zum Mitdenken an. Leider verliert sich das Rollenspiel regelmäßig in langgezogenen Dialogen und weniger bedeutsamen Nebengeschichten, während die Charaktere einem nicht so recht ans Herz wachsen wollen. Vom Charme eines I am Setsuna lässt das Rahmengerüst jedenfalls viel vermissen. Dafür wurde immerhin einiges am Kampfsystem getüftelt: Die aktiven Streiter können manuell positioniert werden, was zumindest auf dem Papier auch spannendere Bosse ermöglicht, und die begrenzt einsetzbaren Vulcosuits bringen ein neues, taktisches Element ins Spiel. Nur leider wird davon auf normaler Stufe relativ selten Gebrauch gemacht – mit simplen Allzweck-Formationen lassen sich viele Gefechte mühelos überstehen. Versteht mich nicht falsch: Lost Sphear ist auf keinen Fall ein schlechtes Spiel und wer ein klassisches Rollenspiel japanischer Machart sucht, kann hier durchaus ein paar klasse Ansätze finden und genießen. Über die Mittelklasse kommt das neue Werk der Tokyo RPG Factory insgesamt aber leider nie so recht hinaus.
Verliert ständig den Faden: Tjark Michael Wewetzer [Alanar] für PlanetSwitch.de
Vielen Dank an Square Enix für die freundliche Bereitstellung des Reviewcodes.
Leserwertung:
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Deine Wertung:
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Trotz einiger Verbesserungen gegenüber I am Setsuna ein insgesamt sehr durchschnittliches RPG von der Stange.