Willkommen in Portia, einem wundervoll ruhigen Ort, in dem ihr all eure Sorgen vergessen könnt! Hier ist es so entspannt, dass euch die Reiseleiter bei jedem Spielstart erst einmal zu einer fünfminütigen Ruhepause verdonnern, damit ihr auch gelassen das Handwerker-Leben in Angriff nehmen könnt! Okay, aber im Ernst: Wenn es allein um den Ersteindruck geht, hat die Switch-Umsetzung von My Time at Portia bereits viel verschenkt. Es kann nicht angehen, dass man rund drei Minuten bis zum Titelbildschirm zu warten hat, nur um danach noch einmal zwei Minuten Däumchen zu drehen, damit auch der Spielstand geladen ist. Zum Glück ist das die vermutlich größte Hürde, die euch in der sonst eigentlich spannenden Lebenssimulation erwartet – auch wenn es in der Switch-Fassung dennoch so einige andere Macken gibt, auf die ich im Zuge dieses Testberichts eingehen werde.
Frisch ans Werk
Aber zunächst ein Kurzabriss der Geschichte für all diejenigen, die den Anspielbericht von meinem geschätzten Mitreisenden Nicola (Link) nicht gelesen haben: Euch verschlägt es ins schöne Portia, die Hauptstadt einer malerischen Insel mit wunderschöner Natur und geheimnisvollen Ruinen aus einer Zeit vor der Apokalypse. Ach ja, My Time at Portia gesellt sich zu den postapokalyptischen Spielen, was man dem Stand der Welt jedoch wenig anmerkt. Für euch ist das zunächst jedoch irrelevant, denn ihr übernehmt die hiesige Werkstatt eures verschwundenen Vaters. Schließlich will Geld verdient werden, damit ihr hier auch überlebt! Der Schuppen ist jedoch aufgrund mangelhafter Wartung extrem heruntergekommen und abseits eines Basteltisches sowie einer Montageplattform bleibt euch nichts an Werkzeug. Also hangelt ihr euch zunächst an den ersten Aufträgen entlang, um die Werkstatt auf euren Namen zu registrieren, Werkzeuge zusammenzusetzen und ein paar erste Verwertungsmaschinen zu bauen. Das geschieht über prinzipiell simple Menüs und setzt lediglich voraus, dass sich die notwendigen Materialien entweder in eurem Rucksack oder der Lagertruhe befinden.
Ist alles an Ort und Stelle, geht es langsam ans Eingemachte. Ihr werdet regelmäßig mit Hauptaufgaben versorgt, die schrittweise neue Bereiche der Spielwelt freischalten. Zu Beginn möchte da beispielsweise eine Brücke zu einer kleinen Insel repariert werden, für die ihr auf eurer werkstatteigenen Montageplattform erst einmal die Baustücke zusammensetzen müsst. Zu diesem Zweck öffnet ihr am Pult – nach einer bemerkbaren Ladepause – das Handwerkerbuch und sucht die Bauanleitung für die Brückeköpfe und das Hauptstück heraus. Löblich: Jede Seite des illustrierten Büchleins schlüsselt euch genau auf, welche Rohstoffe oder verarbeiteten Elemente ihr zum Bau eurer Wunschkonstruktion benötigt und in vielen Fällen sogar, an welcher Maschine ihr sie fertigen könnt oder wo es sie zu finden gibt. Davon bleibt jedoch nicht viel übrig, wenn ihr den Bauplan tatsächlich in Angriff nehmt. Dann zeigt euch das Pult nur die benötigten Endprodukte und markiert alles, was ihr bereits platziert habt. Man kann eben nicht alles haben. Gleiches gilt für das parallele Bearbeiten mehrerer Baupläne: Erst mit der dritten, enorm teuren sowie riesigen Aufrüstungsstufe der Montageplattform könnt ihr über eine zweite Sektion automatisch andere Gerätschaften bauen lassen. Das kann enorm nerven, wenn man mehrere Montageaufträge parallel bearbeiten möchte.
Vorausgesetzt, man hat dafür überhaupt die Materialien. Die müssen natürlich erst einmal auf vielerlei Art angeschafft werden. Beispielsweise, indem man die zufällig generierten Minen auf den Kopf stellt. Hier lassen sich auch diverse Reliktteile und gelegentlich sogar Möbelstücke ausgraben, die euch vollständig zusammengesetzt im Eigenheim platziert Boni auf eure Charakterwerte verleihen. Oder ihr erkundet gefährliche Dungeons, in denen unzählige Monster und lukrative Schätze – darunter auch die immer wieder für Bauten notwendigen Motoren aus der präapokalyptischen Zivilisation – auf euch warten. Oder ihr geht es entspannter an und fällt Holz, gebt euch mit ein paar Blumenkästen der sehr simplen Farmerei hin oder baut Stallungen für pflegeleichte Tiere. Speziell für den Materialienabbau und das Kämpfen hagelt es in gesunder Regelmäßigkeit Erfahrungspunkte, die beim Levelaufstieg nicht nur eure Basis-Werte und Ausdauer erhöhen, sondern auch einen Skillpunkt für die ausgiebige Fertigkeitenliste freischalten. So lässt sich dafür sorgen, dass ihr Freundschaften einfacher knüpft, beim Tagebau mehr Materialien erhaltet oder schlichtweg mehr im Kampf einstecken könnt. Unterhaltsamerweise behaupten die Tutorial-Texte noch, dass man lediglich fünf Punkte pro Zeile einer Fertigkeiten-Säule investieren kann, bevor man in der nächsten Zeile weiterzumachen hat – ein Überbleibsel der Early-Access-Version für den PC, denn in der Switch-Version ist das nicht mehr der Fall.
Gut Ding will Weile haben Stichwort Freundschaften: Ihr könnt euch mit so ziemlich allen Bewohnern des Eilands nach bester Story of Seasons-Manier anfreunden und diverse Junggesellen sogar heiraten, wenn ihr denn die Bande ausreichend gestärkt habt. Leider ist der Prozess erwartungsgemäß nicht sonderlich tiefgründig, auch wenn es zumindest ein paar Dialogoptionen gibt, die die Konkurrenz nicht bietet. Neben dem täglichen Gespräch und der Geschenkübergabe könnt ihr die gesammelte Belegschaft von Portia zu Stein-Schere-Papier oder gar zu einem ehrenhaften Faustkampf herausfordern – letzteres gilt auch für die kranke Bürgermeistertochter Ginger und die alte Bauerndame Sophie, die in solchen Fällen jedoch Ersatzkämpfer als Stellvertreter in den Ring schicken. Wer sich nur darauf versteift, braucht jedoch Ewigkeiten mit den immergleichen Textboxen, bis ihr überhaupt auf die zweite Freundschaftsstufe kommt. Viel lukrativer ist es da schon, gelegentliche Nebenquests für die Bewohner in Angriff zu nehmen, ihre Essenswünsche zu erfüllen oder sich den Handwerker-Aufträgen aus dem Bürgerbüro zu widmen. An jedem Werktag findet ihr hier diverse Fertigungswünsche, die sich je nach Rang mal mehr, mal weniger schnell und einfach erledigen lassen. Bei Erfüllung hagelt es Geld, Erfahrungs-, Ruf- und Beziehungspunkte. Prinzipiell eine schöne Sache, blöderweise dürft ihr pro Tag nur einen Auftrag annehmen. Das bremst auch diese Sache leider gehörig aus.
Die wohl größte Bremse ist aber wohl leider der Fertigungsprozess von Gegenständen allgemein. Alles, was nicht an der einfachen Werkbank oder Montageplattform zusammengestellt werden kann, benötigt nämlich vor allem Zeit. Ihr möchtet Holzkohle für Karbonstahl anfertigen? Lasst entsprechend viel Holz für ein paar Ingame-Stunden im Ofen brutzeln. Es wird Stoff für das Dach eines Töff-Töffs – so heißen hier die Schnellreisebusse – benötigt? Ab mit den Rohmaterialien in die Stoffschneidemaschine und geduldig warten. Nicht selten werden sind für manche Produkte mehrere Schritte notwendig und gerade zu Beginn fällt euer verfügbarer Platz für die effektive Platzierung mehrerer Fertigungsstationen zu gering aus. Als Resultat kann ich jetzt keine Karbonstahlbarren mehr sehen, weil die allein im ersten Drittel des Haupthandlung dermaßen häufig gebraucht werden, dass ich mehrere Ingame-Tage mit deren Fertigung verschwenden musste, um irgendwie wieder voranzukommen. Schlimmer wird es nur, wenn die Barren dann zu Platten weiterzuverarbeiten sind, weil dann weitere Wartezeiten dazukommen.
Also muss ich mich irgendwie ablenken. Neben der Rohstoffsammelei und einfacheren Aufträgen gäbe es zu diesem Zweck noch gelegentliche Stadtfeste. Die sind an und für sich ganz nett, allerdings nicht unbedingt immer intuitiv und teils auch mit viel Warterei verbunden. Das Kampfsportturnier im Sommer ist beispielsweise in mehrere Etappen unterteilt, während derer ihr bis zu eurem Zug warten müsst und höchstens den NPCs beim Wetteifern zuschauen könnt. Sofern denn mal alles sauber läuft, doch auf die technische Seite des Spiels komme ich später noch einmal zurück. Die Registrierung für den Angelwettbewerb wird hingegen etwas ungeschickt versteckt und für Köder muss man selbst sorgen – wer also keine ausreichende Menge an Würmern mitbringt, kann einpacken. All das sorgt dafür, dass die Feste sich im ersten Spieljahr mehr wie ein Ärgernis anfühlen, durch das man unbeholfen durchstolpert. Wenn man sie jedoch mal gerafft hat, können sie zum Teil recht gut unterhalten. Speziell die Jagd nach Geistermarken im Spätsommer ist mir hier positiv in Erinnerung geblieben, muss man hier doch nicht nur die überall in der Stadt auftauchenden Marken im Auge behalten, sondern auch die mit Betäubungswaffen ausgestattete Konkurrenz.
My Time at Loading Screen
Die wohl größte Hürde, mit der die Konsolen-Version von My Time at Portia allgemein und die Switch-Version im Besonderen zu kämpfen hat, ist die technische Seite. Im jetzigen Zustand des Spiels sind mir deutlich mehr Fehler aufgefallen, als mir lieb war. Allein der eingangs angesprochene Startvorgang, der seine fünf Minuten in Anspruch nimmt, ist schon enorm abschreckend. Danach fallen Ladepausen bei Arealübergängen zum Glück weitestgehend kompakt aus, dennoch muss man Wartezeiten beim Öffnen des Handwerkerbuchs oder gar beim Abbau von Materialien in Kauf nehmen. Richtig schlimm wirkt sich dass auf die Kämpfe aus, die dank der Ruckler bei der Trefferregistrierung nie flüssig laufen und sich somit auch nie wirklich gut anfühlen. Wer kleinere Bäume abholzt, muss zudem hin und wieder mal für ein, zwei Sekunden auf ein eingefrorenes Bild starren, bevor es weitergeht. Da fragt man sich beizeiten, ob das Spiel nicht sang- und klanglos abgestürzt ist. Was übrigens ebenso nervig wäre wie das Ableben des eigenen Charakters, denn dann muss man die ganze Spielstandladeprozedur – zur Wiederholung: gut zwei bis drei Minuten Wartezeit – noch einmal durchmachen. Hinzu kommen zahlreiche kosmetische Fehler wie unsichtbare Bäume, die sich zwar für Obst treten lassen, aber zum Abholzen nicht da sind, oder Dorfbewohner, die entweder in der Landschaft herumzucken, an Objekten hängenbleiben oder gar in Wänden verschwinden. In mehreren Fällen sind beispielsweise eindeutig vor Ort anwesende NPCs nicht zum zuvor angesprochenen Kampfsportturnier in den Ring getreten, sodass der Kontrahent ohne Gegenwehr gewann und man als Zuschauer nicht zu sehen bekam. Dass das Spiel optisch dann auch eher karg aussieht, weil den Landschaften beispielsweise das Gras fehlt, wirkt da fast noch wie das verschmerzbarste Übel – irgendwo müssen immerhin für die schwächere Switch Abstriche gemacht werden.
An der Sprachausgabe hätte man allerdings nicht sparen sollen, denn die fehlt kurioserweise derzeit bei den Konsolen-Versionen von My Time at Portia. Die Folge: Sämtliche Zwischensequenzen kommen komplett ohne Sound daher. Keine Musik, keine Soundeffekte, nichts. Diese deutsch untertitelten Stummfilme wirken einfach nur befremdlich. Und da enden die Probleme mit der Konsole nicht: Die Controller-Steuerung wirkt gleichermaßen ungelenk. Da für vielerlei Aktionen offensichtlich keine Tasten mehr frei waren, muss das Handwerkerbuch beispielsweise mit dem rechten Analogstick durchgeblättert werden, während man mit den Steuerkreuzknöpfen einen der beiden sichtbaren Baupläne anwählt. Hinzu kommt, dass bestimmte Steuerungshinweise in keinster Weise vermerkt werden. Dass man zum Beispiel im Inventarbildschirm Gegenstände vom Rucksack in die Schnellleiste verschieben kann, indem man die X-Taste drückt, habe ich nur zufällig nach über zehn Stunden manuellem Item-Verschiebens herausgefunden. All das sorgt für eine Erfahrung, bei der selbst ich als Controller-Befürworter fast geneigt bin, lieber zur Maus und Tastatur greifen zu wollen. Nur dass mir dies bei der Switch-Version natürlich nicht helfen würde.
Fazit: My Time at Portia hat zweifelsfrei einen guten Kern, auch wenn dies angesichts des sehr negativen Testberichts nicht unbedingt hervorscheinen mag. Es hat Charme, es bietet reichlich zu tun und eine umfangreiche Haupthandlung, auch wenn diese häufig durch lange Wartepausen für Gegenstandsfertigungen gestreckt wird. Die Gegenstands-Bastelei und der gestalterische Freiraum bei der Einrichtung des Eigenheims und Werkler-Gartens weiß ebenfalls zu gefallen, zumal die Platzierung der Möbel auch Boni auf die Charakterwerte mitbringt. Doch für jeden Moment der Freude gibt es mindestens ein Ärgernis, das mir das sonst so entspannte Spielerlebnis versauerte. Klar ist der momentane Stand einer massiven Fünf-Minuten-Wartezeit beim Startvorgang dem stetigen, umfangreichen Nachladen vorzuziehen, doch wenn man mal unvermittelt das Zeitliche segnet und seinen Ingame-Tag neu laden darf – freies Speichern gibt es nicht – dann raubt einem dies schon mal sämtliche Motivation zum Weiterspielen. Auch die Item-Fertigung fühlt sich durch die viele Zwangswarterei bei Schmiede- und anderen Verarbeitungsprozessen arg langgezogen an und frustriert, wenn man Monate hinweg nur Karbonstahl schmiedet, weil gefühlt jedes momentane Questprojekt ebendieses Material benötigt. Rechnet man dann noch die ganzen oberflächlichen Fehler wie NPC-Wegfindungsprobleme, nicht ordentlich ins Bild geladene Objekte oder das ständige Ruckeln beim Materialabbau und im Kampf noch dazu, will einfach kein durchgängig rundes Spielerlebnis zustandekommen. Entwickler Pathea Games und Publisher Team17 versprechen immerhin Updates, die sich einige der Ärgernisse annehmen und womöglich auch die kurioserweise vermisste Sprachausgabe implementieren sollen. Bis zumindest die gröbsten Probleme ausgebügelt sind, kann ich zumindest die Switch-Version von My Time at Portia höchstens ultrageduldigen Freunden des digitalen Landlebens empfehlen, die mehr wert auf Mobilität ihrer Spielversion anstelle allgemeiner Stabilität setzen. Alle anderen sollten noch auf ein paar Patches warten.
An Karbonstahl-Überdosis verstorben: Tjark Michael Wewetzer [Alanar] für PlanetSwitch.de
Leserwertung:
Noch keine
Deine Wertung:
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Prinzipiell liebliche Handwerker-Lebenssim mit reichlich Abwechslung, die jedoch unter zahlreichen technischen Problemen und anderen Ärgernissen leidet.
Wertung
SPIELTIEFE:
8.0
STEUERUNG:
5.0
TECHNIK:
3.0
40 von 100
Umfangreiche, nette Hauptgeschichte
Reichlich Aktivitäten
Viele erstellbare Objekte
Möbel wirken sich auf Charakterwerte aus
Fünf bis sechs Minuten Wartezeit zwischen Spielstart und geladenem Savegame
Reichlich Laderuckler beim Abbau von Ressourcen und im Kampf
Manche zeitintensiv beschaffbaren Materialien sind gefühlt zu häufig nötig