Review:
AI: The Somnium Files
Die Zero Escape-Reihe mag mit Zero Time Dilemma (zum 3DS-Test) ihr Ende gefunden haben, doch Kotaro Uchikoshi, dem leitenden Kopf hinter den Spielen, sind die Ideen deswegen noch lange nicht ausgegangen. Und außerdem möchte die im vorigen Spiel eingeführte Technik nun auch richtig ausgereizt werden. AI: The Somnium Files ist zumindest in vielen Punkten eine Verbesserung gegenüber dem Zero Escape-Finale, doch kann es auch mit den Glanzpunkten der Saga mithalten? Schafft es der Titel wieder, für schlaflose Nächte und endloses Mitdenken zu sorgen? Und berührt die Geschichte auch wieder so wie die Abenteuer von Junpei, Sigma und Co.? Soviel vorweg: Des Englischen mächtige Fans spannender Krimis werden definitiv nicht von dem Adventure-Happen enttäuscht. Genaueres erläutere ich euch im folgenden Test!
Ein Auge im Park
Alles beginnt mit einem Mord. Ihr spielt den Ermittler Kaname Date („Dah-Teh“ gesprochen, nicht wie das englische Wort für Verabredungen), der am Fundort der Leiche – das Karussell eines heruntergekommenen Vergnügungsparks – eintrifft und nun nach Hinweisen zu suchen hat. Das Opfer? Shoko Nadami, die Ex-Frau von Dates Freund Renju Okiura, der auch noch aus unerfindlichen Gründen das linke Auge entnommen wurde. Nach klassischer Adventure-Manier stellt man nun also die Umgebung auf den Kopf: Wahlweise per Touchscreen oder mit dem Analogstick wird das Areal abgefahren, um nach interagierbaren Objekten zu suchen. Dabei gibt es auch äußerst viel unnützes Zeug, wofür Date entweder eine knappe Beschreibung oder gar einen schnippischen Kommentar auf Lager hat. Schon in dieser ersten Szene wird jedoch klar, dass sich das genaue Untersuchen der Umgebung zumindest aus Unterhaltungssicht lohnt: Die kleinen Sticheleien zwischen Date und seinen Begleitern, die streckenweise immer wieder zur Seite stehen, verleihen den Figuren Persönlichkeit. Außerdem gibt es auch diverse urkomische Gespräche mit anderen Charakteren, die im Prinzip der reinen Belustigung dienen. Beispielsweise könnt ihr direkt als erste Aktion einen hiesigen Ermittler der Forensik-Abteilung nach seinem Namen fragen – immer und immer wieder, während der erst noch freundlich und fröhliche Forensiker langsam aber sicher die Geduld verliert. Wer schnurstracks durch das Abenteuer rennen möchte, kann natürlich auch in vielen Fällen einfach das Gespräch mit den örtlichen Personen suchen, dort die entscheidenden Dialogoptionen durchgehen und direkt zum nächsten Abschnitt springen. Nur verpasst man auf diese Weise viele unterhaltsame Details.
Date ist übrigens im Prinzip dauerhaft mit einem Partner unterwegs. In der linken Augenhöhle des Detectives steckt nämlich ein künstliches Auge mit eingebauter KI, Aiba genannt. Die ist definitiv nicht auf den Mund gefallen und trägt ebenfalls viel zu den Sticheleien bei. Allerdings erweist sich Aiba auch recht flott als unverzichtbare Hilfe. An bestimmten Stellen dürft ihr nämlich Unterstützungsmittel wie Röntgenblick, Wärmekamera und Zoom nutzen, um verborgene Hinweise aufzudecken. Nach bester Visual-Novel-Manier entscheidet ihr jedoch leider nie selbst, wann dies zum Einsatz kommt. Stattdessen sind die Verwendungspunkte fest vorgeschrieben. Überhaupt wird in Sachen Rätseln an den Schauplätzen in der realen Welt so gut wie nichts geboten – ihr geht hier also wirklich maßgeblich der Handlung nach und lasst diese auf euch einwirken. Selbst wenn ihr gelegentlich über das nächste Reiseziel entscheiden dürft, gebt ihr damit nur die Reihenfolge aller ansteuerbaren Gegenden an. Letztenendes muss alles einmal abgeklappert werden, bevor es weitergeht.
Ein Auge im Traum
Aber AI: The Somnium Files wäre ja kein Spiel vom Zero Escape-Schöpfer, wenn es keinen besonderen Kniff gäbe. Date ist nämlich genauer gesagt Teil einer Spezialeinheit, die mit einer Maschine in die Träume von Menschen eintauchen kann. Die sogenannten Psyncer lösen dabei geistige Blockaden im Kopf des Träumenden und suchen so nach den gewünschten Informationen. So ganz legal ist die Angelegenheit natürlich nicht, zumal nicht jeder Träumer freiwillig aufkreuzt, doch manchmal müssen für die Gerechtigkeit Opfer gebracht werden! Außerdem lassen sich auf diese Weise auch möglicherweise Traumata mildern, was im ersten Tauchgang in das sogenannte Somnium eines Menschen zum Thema wird: Die Gedankenwelt von Mizuki Okiura, der Tochter von Shoko und Renju, die unglücklicherweise die erste war, die die Leiche fand.
Im Somnium kommt nun das Knobel-Element von AI zum Vorschein. Ihr steuert eine menschenähnliche Projektion von Aiba und erkundet teils sehr bizarre Erinnerungen und Gedanken. Die von Mizuki ist dabei noch vergleichsweise bodenständig, spielt jedoch den Horror des heruntergekommenen Vergnügungsparks noch einmal gehörig hoch. Um die geistigen Blockaden zu lösen gilt es nun, bestimmte Aktionen auszuführen. Wie es sich für einen guten Traum gehört, gehorchen diese dabei nicht immer einer ganz nachvollziehbaren Logik. So stellt sich ein in ein Foto gesteckter Eispickel beim Versuch, ihn herauszuziehen, als unfassbar lang heraus, was sich zudem auch noch auf eine Stange im Park auswirkt. Will man die Puzzles lösen, muss man also reichlich experimentieren – und leider stellt sich AI hier selbst ein Bein. Jedes Somnium muss nämlich auch noch innerhalb eines sechsminütigen Zeitlimits gelöst werden. Damit ist tatsächlich weniger der reale Zeitfluss gemeint als der vom Spiel vorgegebene: Steht Aiba still, schreitet die Zeit langsam voran. Möchte sie jedoch auf die Umgebung einwirken, verbraucht dies unterschiedlich viele Zeiteinheiten. Wer also blind herumprobiert, überschreitet schnell das Limit.
Ein Auge auf die Uhr
Da wir hier aber immer noch ein Videospiel spielen, gibt es natürlich auch Power-Ups, die da helfen. Die sogenannten Timies werden euch beim Ausführen bestimmter Aktionen zugesteckt und können beispielsweise die verbrauchte Zeit pro Interaktion auf einen Festwert reduzieren oder sie halbieren, dritteln oder gar zehnteln. Ein paar unpraktische Versionen, die mehr Zeit verbraten, gibt es allerdings auch. Schlimmer noch: Sofern sie nicht explizit Teil des Rätsels sind, was nur in wenigen Somnia der Fall ist, werden die exakten Timies bei jedem Anlauf neu gemischt. Ihr könnt euch also nicht darauf verlassen, bei jedem Anlauf auch die selben Helfer einzusammeln. Dass dies nicht in endlosem Frust endet, verdankt AI der allgemeinen Kürze der Traum-Trips und der Checkpoints. So könnt ihr bis zu drei Kontrollpunkte pro Anlauf zurückreisen, um beim nächsten Versuch beispielsweise effektiver vorzugehen und mehr Zeit für spätere Puzzle-Abschnitte zu haben, oder gar das ganze Somnium nach einem Game Over neustarten, um alle bereits gesehenen Teile mit der Vorspulfunktion abzuackern. Dies wirft allerdings auch ungemein die Frage auf, warum man überhaupt auf ein Zeitlimit bestand. Abgesehen von diesem Ärgernis machen die Knobeleien jedoch durchaus Spaß, auch weil man auf der geistigen Ebene reichlich Unsinn anstellen kann – sei es, weil Aiba aufgrund ihres KI-Lebens nicht ganz wie ein Mensch handelt oder weil ihr bei der Auswahl möglicher Aktionen gerne mal völlig absurde Vorschläge erhaltet.
Die Somnium-Abschnitte erfüllen zudem eine weitere Kernfunktion: In ihnen spalten sich gerne mal die Pfade. Wie für Visual Novels üblich bietet auch AI mehrere Enden, die ihr durch das Einwirken auf die Traumwelten und die damit verbundenen entdeckten Hinweise erreicht. Dank einer jederzeit aufrufbaren Übersicht könnt ihr im Bedarfsfall auch jederzeit zu den entsprechenden Scheidepunkten springen, ohne die Geschichte von vorn aufzurollen. In den Realwelt-Abschnitten lässt sich sogar auswählen, ab welcher Szene genau ihr wieder einsteigen möchtet. Wer alles sehen möchte, ist somit trotzdem gute 30 bis 35 Stunden beschäftigt. Das komplette Abgehen aller Routen lohnt sich aber auch, denn nur so erfahrt ihr, was wirklich Sache ist, und erspielt ein genretypisches Haupt-Ende.
Ein Auge für Details
Auf technischer Ebene hat man sich, wie eingangs angedeutet, eindeutig an dem orientiert, was mit Zero Time Dilemma geschaffen wurde. Statt jedoch einen Film mit gelegentlichen Spielsequenzen auf die Beine zu stellen, haben wir es hier wieder mit einer klassischeren Visual Novel mitsamt reichlich Textkästen zum Durchklicken zu tun. Ein Segen für schnelle Leser! Auch die Animationen wurden gehörig überarbeitet, wodurch die Figuren allesamt deutlich lebhafter wirken und auch die Action-Szenen nicht mehr ganz so steif herüberkommen – auch wenn die dabei eingestreuten Reaktionsspiele echt nicht nötig gewesen wären. Leider hat die Sache zumindest auf der Switch einen gewaltigen Haken in Form von Ladezeiten. Nun sind die beim Gebiets- oder Szenenwechsel an sich nicht sonderlich lang, doch AI streut gerne mal Rückblenden in Form einer Bild-in-Bild-Einblendung ein. Nicht selten musste ich mal gute zehn Sekunden warten, bis die kurzen Szenen, die auch gerne mal nur einen Satz umfassen, geladen wurden. Speziell bei der Konfrontation mit dem Bösewicht wird dies aufgrund der häufigen Flashbacks zur reinsten Geduldsprobe. Um aber noch ein gutes Wort zur Präsentation zu verlieren: Die englische Sprachausgabe ist durch die Bank weg großartig. Egal ob nun Erika Harlacher (Ann Takamaki in Persona 5) als Aiba, Corina Boettger (Shanon Atkins in Atelier Firis) als Mizuki oder Greg Chun (Takayuki Kagami in Judgment) in seiner Rolle als Date, die ganze Besetzung haucht den Figuren gekonnt Leben ein. Wer stattdessen jedoch lieber dem japanischen O-Ton zuhören möchte, findet die entsprechende Sprachausgabe natürlich auch im Spiel.
Fazit: Wie auch schon Zero Escape zuvor ist AI: The Somnium Files eine Achterbahnfahrt. Allerdings eine, die sich reichlich Zeit zum Anlauf nimmt. Bis zu einem gewissen Punkt knobelt man beim Mordfall munter mit, stellt Mutmaßungen auf und schnappt sich freudig jedes neue Puzzleteil, um es an die vermeintlich richtige Stelle zu setzen. Doch je weiter man voranschreitet, desto mehr ändert sich die Auffassung und mehrfach stellt das Spiel sprichwörtlich alles auf den Kopf. Genau diese Wendungen sind es jedoch, die das Adventure mit starkem Visual-Novel-Part so spannend machen. Klar geht es innerhalb der jeweiligen Handlungspfade insgesamt strikt linear voran, doch auf diese Weise ist auch ein konstant gutes Tempo gewahrt. Erkundungsfreudige Naturen finden in den schön ausstaffierten Schauplätzen auch bei wiederholten Besuchen mit erneutem Anklicken aller Objekte die ein oder anderen unterhaltsamen Nebengespräche, durch die einem die Charaktere ans Herz wachsen. Und genau dies nutzt AI schamlos aus, um an Kernpunkten immer mal wieder für dramatische Momente und auch die ein oder andere Träne zu sorgen. Nicht zuletzt begeisterte mich, wie alles schlussendlich ineinander greift. Der Moment, wenn man endlich das letzte fehlende Puzzleteil in den metaphorischen Händen hält und alles Sinn ergibt. Viele Erzählungen verlieren gerne in ihrem Finale an Schwung, doch AI gelingt die Punktlandung. Leider ist trotzdem nicht alles rosig. Das Zeitlimit bei den Rätsel-Sequenzen empfand ich als ebenso nervig wie unnötig, die Ladezeiten für Rückblenden können aufgrund ihrer Häufigkeit gerade im letzten Spielteil enorm den Spielfluss stören und die Quick Time Events bei Action-Szenen wirken aufgesetzt. Dies sind jedoch relativ kleine Mängel, wegen derer sich Freunde von guten Mystery-Thrillern definitiv nicht davon abschrecken sollten, dieses spannende Spiel ihrem Switch-Archiv hinzuzufügen.
Sieht die Welt mit anderen Augen: Tjark Michael Wewetzer [Alanar] für PlanetSwitch.de
Traum der schlaflosen Nächte: Ein spannender Krimi, wie ihn nur der Schöpfer von Zero Escape zustande bringt! |
Wertung
STORY:
9.0
ATMOSPHÄRE:
9.0
TECHNIK:
7.0
86 von 100
Spannende Handlung, die zum Mitdenken anregt
Facettenreiche Charaktere
Wundervoll verworrene Traumwelten…
…mit entsprechend esoterischen Knobeleien, ohne unfair zu wirken
Massig unterhaltsame Extra-Dialoge für entdeckungsfreudige Naturen
Großartige englische Vertonung
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Häufige und deutliche Ladepausen bei Rückblenden
Unnötig wirkendes Zeitlimit in Puzzle-Segmenten
Aufgesetzt wirkende Reaktionstests bei Action-Sequenzen
Keine deutsche Übersetzung
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Wie werten wir?
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Spielname:
AI: The Somnium Files
Typ:
Switch-Spiel
Jetzt Bestellen:
Zum Shop
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Publisher:
Spike Chunsoft
Developer:
Spike Chunsoft
Genre:
Adventure
Release:
20.09.2019 (erschienen)
Multiplayer:
nicht vorhanden
Altersfreigabe:
Frei ab 16 Jahre
eShop Preis:
59,99 €
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Screenshots:
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