Pokémon Legenden: Arceus erschien vergangenen Januar und zur allgemeinen Überraschung war es gut. Also richtig gut (zum Test). Und das obwohl technisch zweifelsfrei Luft nach oben war und manche Ideen noch etwas unausgereift waren. Aber hey, wofür sind Nachfolger denn da? Schließlich können diese auf den Erfahrungen aufbauen und da das Entwicklerteam von Game Freak in der Neuausrichtung sogar offensichtlich in Richtung Open World gehen möchte, könnte das nächste Spiel doch richtig gut werden! Also wenn genügend Zeit dafür dagewesen wäre. Wenn die Führungsetage nicht wieder auf Biegen und Brechen auf einen November-Release bestanden hätte. Wenn man nicht darauf setzen würde, dass die Fans eh alles kaufen und sich Mängel gegebenenfalls später rauspatchen lassen. In dieser schönen Welt leben wir leider nicht, weswegen Pokémon Karmesin und Purpur als pünktliche 2022er-Weihnachtsveröffentlichungen nicht nur in technischer Hinsicht eklatante Mängel aufweisen, die ihr sicherlich schon in vielfacher Ausführung auf YouTube und Co. kennengelernt habt, sondern auch als Open-World-Rollenspiel sich mehr wie der erste Versuch anfühlt, für den ich eigentlich den DLC von Schwert und Schild sowie Pokémon Legenden hielt.
Auf drei Wegen musst du gehen Die vom schönen Spanien inspirierte Paldea-Region ist der Spielplatz eures Abenteuers – und auch der Spielplatz der lokalen Schule. Denn ihr schreibt euch zu Beginn an der lokalen Akademie ein, um alles rund ums Trainerdasein zu lernen, bis ihr nach wenigen Wochen Eingewöhnungszeit direkt wieder in die Freiheit entlassen werdet. „Sucht euren Schatz!“, ermuntert Schuldirektor Clavel. Damit ist nicht unbedingt etwas Greifbares gemeint – es kann auch eine wertvolle Erfahrung sein. Um euch zumindest etwas Starthilfe zu geben, werden euch von bestimmten Personen drei mögliche Wege vorgegeben. Ihr könnt etwa den Pfad der Legenden ablaufen und zusammen mit dem reizbaren Pepper potente Gewürze von übergroßen Pokémon erbeuten. Alternativ betretet ihr die Straße der Sterne und weist unter der Leitung der mysteriösen Cassiopeia die obligatorische Schurkengruppe Team Star in die Schranken. Oder ihr geht es klassisch an marschiert auf dem Weg des Champs durch die lokalen Arenen, um schlussendlich die Pokémon-Liga zu erobern. In welcher Reihenfolge ihr diese Ziele angeht und ob ihr sie überhaupt verfolgen möchtet, ist theoretisch euch überlassen, doch versteht dies nicht falsch: Es gibt keine alternativen Enden in Karmesin und Purpur, schlussendlich muss alles angegangen werden, wenn ihr den Abspann sehen möchtet. Auch fühlt sich die Freiheit insofern mehr vorgegaukelt als tatsächlich vorhanden an, weil die Gegnerlevel immer noch in einer festen Abfolge der Schauplätze ansteigen. Klar könnt ihr versuchen, zuerst direkt die Arenen im hohen Norden in Angriff zu nehmen, nur werdet ihr dort vermutlich direkt von den viel zu starken Pokémon des Arenaleiters unangespitzt in den Boden gerammt – und solltet ihr durch Fleißarbeit wider Erwarten doch siegreich sein, stehen euch eine Reihe langweiliger Konfrontationen in den übrigen Arenen bevor.
Überhaupt kommt mir der Ansatz der offenen Welt in gewissen Punkten dezent halbgar vor. Völlig davon abgesehen, dass ihr für den Abschluss der Geschichte ohnehin 18 zu Spielbeginn in eure Karte geklatschten Zielpunkte abklappern müsst, schalten zwei der drei Wege auch wichtige Hilfsmittel frei. So erweitern geschlagene Herrscher-Pokémon eure Mobilität und erbeutete Arenaorden erlauben den einfachen Fang sowie die Kontrolle höherstufiger Pokémon. Selbst wenn ihr also von alldem nichts wissen möchtet und einfach auf die Pokédex-Komplettierung aus seid, müsst ihr zwangsläufig andere Aufgaben mit erledigen. Das ist per se nichts Schlechtes und wird in vielen Open-World-Spielen nicht anders gelöst – und wenn doch, dann in der Regel mit Levelskalierungstechniken, deren Umsetzungen auch Vor- und Nachteile bergen. Da Pokémon Karmesin und Purpur an mehreren Stellen jedoch eure Handlungsfreiheit betonen und an einer für mich markanten Stelle sogar hinterfragen, warum ich ausgerechnet einen der drei Wege verfolge, sticht dieser fadenscheinige Freilauf leider umso mehr ins Auge. Dass die Städte in der Regel nur wenig zu bieten haben und die Shops für die Charakteranpassung zwar diverse Accessoires, jedoch nicht ein einziges alternatives Outfit abseits eurer vier Standard-Ensembles bieten, stößt mir ebenfalls sauer auf.
Sonnige Aussichten bei der Pokémon-Jagd Doch wie läuft nun eigentlich die Erkundung Paldeas? Im Grunde genommen ähnlich wie in Pokémon Legenden, allerdings mit teils eingeschränkten oder ausgetauschten Optionen. Zunächst einmal ist die Region zwar immer noch in offensichtliche Biome unterteilt, dafür jedoch nahtlos begehbar. Ladebildschirme gibt es nur bei Schnellreisen und Betreten von geschlossenen Räumlichkeiten. Auch seid ihr nicht auf stark eingeschränkte Wege begrenzt, sondern könnt munter über die weitläufigen Wiesen, erhöhten Berghänge oder durch die tiefen Schluchten wandern. Springen darf eure Figur zwar nicht, dafür ist jedoch euer im Laufe des Intros erbeutetes Reit-Pokémon da. Jepp, Pokémon Karmesin und Purpur drücken euch das Taschenmonster auf dem Cover praktisch direkt zu Spielbeginn in die Hand – es ist jedoch nicht von Beginn an kampffähig, sondern dient eben als reitbarer Untersatz. Vom Rücken der Riesen übersah ich jedoch nur zu gern die herumlaufenden Pokémon und gerade über kleinere Racker wie beispielsweise durch den Boden buddelnden Digda stellten mir nicht selten ein sprichwörtliches Bein. Das schiebe ich jedoch mehr auf meine mangelnde Weitsicht als auf die Pokémon-Dichte des Spiels, die insgesamt eine angenehme Balance zwischen „weniger bevölkert“ und „dicht an dicht“ schafft.
Kommt ihr mit einem wilden Pokémon in Kontakt oder lauft ihr in einen der erstaunlich seltenen Trainer in Paldea, kommt es zum Kampf. Dabei steht eines eurer Taschenmonster gegen einen Herausforderer im Ring – selbst wenn ihr zufälligerweise eine Gruppe von rübenartigen Hoppspross überrascht, werden Gefechte praktisch immer eins gegen eins ausgefochten. Ihr wählt jede Runde eine der bis zu vier Attacken eurer Zöglinge aus, die Seite mit dem höheren Initiativewert schlägt dann zuerst zu. Neben Angriffsmanövern diverser Stärkeklassen gibt es natürlich noch Unterstützungsfähigkeiten, statusverändernde Moves und so weiter. Wer Erfolg haben möchte, braucht hier eine gute Balance. Auch entscheidet der Typ von Attacke und Gegner-Pokémon über die Effektivität eurer Aktion. Pflanzen können feuerbasierte Manöver überhaupt nicht ab, wohingegen Flug-Pokémon auf Elektrizität und Gestein empfindlich reagieren. Wie diese Elemente zueinander stehen, lässt sich in vielen Fällen logisch erschließen und in anderen Fällen durch etwas Experimentierfreudigkeit herausfinden. Auch sind die Pokémon abermals so gestaltet, dass man mit etwas Erfahrung bereits vom Ersteindruck her gut einschätzen kann, welcher Kategorie es angehört. Im Zweifelsfall verrät euch das Spiel jedoch auch wieder in der Attackenübersicht, ob eure geplante Aktion richtig wehtut oder wirkungslos an dem Kontrahenten abprallt. Veteranen kennen das Prozedere wiederum zu genüge.
Wilde Pokémon lassen sich natürlich auch wieder fangen und dazu müssen sie im Kampf geschwächt werden – sei es durch Reduzierung der Kraftpunkte oder dem Auferlegen von Statuseffekten. Die unterhaltsame Fangmechanik aus Pokémon Legenden wurde leider nicht adaptiert, ihr müsst euch also ins Gefecht begeben, bevor ihr einen leeren Pokéball werfen dürft. Stattdessen wird euer Wurfarm anders gefordert: Ihr dürft euer an oberster Teamstelle platziertes Pokémon aufs Feld beordern. Trefft ihr dabei ein wildes Taschenmonster, startet ein Kampf. Ihr könnt so jedoch auch eure Lieblinge neben euch her laufen lassen oder sie mit der Auto-Kampf-Funktion schnell mit herumstreunenden Kreaturen abrechnen lassen. Leider habe ich mit diesen beiden Optionen auch so meine Probleme gehabt. Gerade in den ersten Stunden waren meine putzig-kleinen Pokémon nie schnell genug, um mit mir Schritt halten zu können, weswegen sie nach wenigen Sekunden wieder in den Pokéball zurückbefördert wurden. Die Auto-Kämpfe wiederum sind enorm praktisch, weil sie schnell (wenn auch vergleichsweise kleine Mengen) Erfahrungspunkte einfahren und für die Item-Herstellung notwendige Materialien anhäufen, jedoch werden mit so erzielten Levelaufstiegen keine Entwicklungen ausgelöst und sollte ein Pokémon eine Attacke lernen, gibt es keine Aufforderung, diese direkt dem Move-Repertoire hinzuzufügen. Glücklicherweise lassen sich die Attacken aller Schützlinge jederzeit außerhalb von Kämpfen im Menü anpassen, doch dafür muss ich mich eben erst einmal in dieses reinklicken. Dass Entwicklungen nicht wieder wie in Pokémon Legenden aus dem Menü heraus ausgeführt werden können, führte in meinem Fall dazu, dass ich gar nicht merkte, dass eines meiner Teammitglieder bereits weit genug war und somit erst mehrere Auto-Kampf-Aufstiege ohne Weiterentwicklung erzielte. Kombiniert damit, dass auch eben nur das erstgelistete Pokémon entsendbar ist und es außerhalb des Menüs keine Möglichkeit gibt, dieses auf die Schnelle zu wechseln, wirkt das ganze System auf mich eher eingeschränkt praktisch.
Keine Open World ohne Checkliste
Vermutlich liegt das daran, dass die Mechanik mehr für die Begegnungen mit Team Star gedacht war. Die fünf Basen verstehen sich nämlich mehr als Minigame, bei dem man mit den ersten drei Mitgliedern seines Pokémon-Trupps im Auto-Kampf 30 herumstreunende Gauner-Pokémon ausschaltet, bevor es zu einem traditionellen Bosskampf mit dem örtlichen Anführer kommt. Die Schlachten sind an und für spaßig und in gewisser Weise angenehm chaotisch, jedoch auch extrem anspruchslos und bringen abseits einer stattlichen Anzahl an als Geldersatz nutzbaren Ligapunkten keine nennenswerten Belohnungen ein. Dadurch wirken die Gebietskämpfe mit Team Star wie lieblos in die Gegend geklatschte Minispiele, was aufgrund der gar nicht mal so uninteressanten Hintergrundgeschichte der Gruppe sehr schade ist. Auch die zuvor erwähnten Herrscher-Pokémon – gigantische Abwandlungen bekannter Taschenmonster – fühlen sich mehr wie achtlos platzierte Riesenbosse, deren einzige Besonderheit darin liegt, dass sie mit einer kurzen Zwischensequenz und eventuell einem kleinen Ereignis wie einer Gerölllawine eingeleitet werden. Und selbst die Arenen, die mehr oder minder nach dem altbekannten Mix aus Kämpfen oder Minispielen bzw. Aufgaben zum Einstieg sowie einem Bosskampf zum Abschluss bestehen, wirken nicht mehr wie bedeutungsvolle Meilensteine, wenn man sie einfach eine nach der anderen abklappern kann. Die 18 zuvor erwähnten Zielpunkte auf eurer Karte verkommen somit mehr zu einer Checkliste, die der Vollständigkeit halber abgearbeitet wird.
Aber Moment, da gibt es doch noch eine weitere Änderung im Kampfsystem! Ja, ihr glaubt doch wohl nicht, dass ich die Terakristallisierung sowie die Tera-Raids vergessen hätte! Die ersetzen die aus Pokémon Schwert und Schild bekannten Dynamax-Elemente, verfeinern sie jedoch in gewissen Punkten. So ist die Terakristallisierung nicht auf bestimmte Situationen beschränkt, sondern kann in jedem beliebigen Kampf mit jedem Pokémon ausgeführt werden. Anders als bei den Megaentwicklungen aus X, Y, Sonne und Mond ist die Nutzung allerdings auch nicht auf ein Mal pro Kampf, sondern auf ein Mal pro Besuch im Pokémon Center beschränkt. Auch ist der Nutzen bedeutend eingegrenzt: Die kristallene Form verstärkt nur Attacken eines bestimmten Typs und der ist bei jedem Pokémon vorgeschrieben. Es gibt aber natürlich Möglichkeiten, diese Typen mit etwas Fleißarbeit zu ändern – oder gar Varianten zu fangen, die von vornherein ein anderes Element innehaben. Die werden entweder als Leuchtsäulen auf dem Feld oder über Tera-Raids erbeutet. Die Raid-Kämpfe funktionieren dabei grob wie in Schwert und Schild: Vier Leute ziehen gegen ein Groß-Pokémon in den Kampf, wobei ihr die Mitstreiter entweder von NPCs besetzen lasst oder über die Multiplayer-Option lokal bzw. online ins Boot holt. Dankenswerterweise wurden die Raid-Kämpfe enorm beschleunigt, weswegen sie nun nicht mehr wie eine Geduldsprobe wirken. Umgekehrt ist es jedoch für mich schwierig gewesen, den Verlauf der Schlachten überhaupt anständig zu erkennen, einfach weil aus allen Rohren Attacken im Akkord abgefeuert werden. Man kann eben nicht alles haben, ich ziehe dies jedoch zweifelsfrei der vorherigen Umsetzung vor.
Mit Freunden macht’s gleich mehr Spaß (?)
Stichwort Multiplayer: Nach der lachhaft schlechten Umsetzung von Schwert und Schild, die abseits gezielten Tauschens und gelegentlicher Raids wenig Mehrwert bot, ist Game Freak mit Karmesin und Purpur zumindest einmal mehr auf dem richtigen Wege. Nun könnt ihr nämlich bis zu drei Freunde in eure Gruppe holen und gemeinsam durch die Paldea-Region laufen. Die Aktionsmöglichkeiten sind dabei wiederum enttäuschend eingeschränkt, denn wirklich viel mehr als das könnt ihr nicht. Es gibt abseits der verstreuten Raids keine großen Koop-Aufgaben, eure Freunde dürfen bei normalen Kämpfen nicht an eurer Seite kämpfen und selbst die Storyfortschritte werden nach wie vor separat geführt. Wenn ihr nicht gerade zur Pokédexvervollständigung auf gemeinsame Fangtour gehen möchtet, gibt es wirklich nicht viel zu erleben. Da wäre bedeutend mehr drin gewesen. Immerhin hatte ich während meiner wenigen Online-Interaktionen keine Verbindungsabbrüche zu beklagen.
Hübscher Stil, mittelmäßige Umsetzung mit einer Extraportion Fehler Womit wir beim wohl berüchtigsten Streitpunkt der neuen Pokémon-Editionen sind: Die technische Umsetzung. Ich für meinen Teil finde, dass Karmesin und Purpur rein auf stilistischer Ebene stimmig aussehen. Auf meinen Reisen habe ich malerische Wiesen gesehen, weitreichende Äcker erkundet und bewachsene Berghänge erklommen. Klar sind die Umgebungen nicht so detailliert ausstaffiert wie bei Genrekollege Xenoblade Chronicles 3, doch das müssen sie auch nicht sein, um für ein hübsches Gesamtbild zu sorgen. Und auch wenn in den Städten leider meist wenig Interaktionsmöglichkeiten abseits der mannigfaltigen Fressbuden geboten werden, sehen sie zumindest hübsch aus. Gleiches gilt für die Pokémon, die bei näherer Betrachtung diverse Details bieten und wieder einmal – innerhalb des serientypischen Grenzen für die 400 enthaltenen Kreaturen mit schier unzähligen Attacken – ansehnlich animiert wurden. Speziell die Terakristallisierung schindet Eindruck, zumal viele anwendende Trainer dafür eine eigene Bewegungsanimation haben, die zu den jeweiligen Persönlichkeiten passen.
Leider werden all diese positiven Eindrücke durch die häufig auftretenden Grafikfehler geschmälert. Die gröbsten Patzer wie Nachladepausen und Umgebungsneuaufbau beim Pokémon-Fang, unsichtbare Reit-Pokémon oder sich seltsam verrenkende Charaktermodelle sind mir glücklicherweise in meinen rund 22 Stunden Spielzeit erspart geblieben. Doch auch ich konnte manchmal durch unglückliche Kamerapositionierung durch den Boden sehen oder mit dem Menü große Schatten ein- und ausschalten. Einer der kurioseren Fehler: Manchmal tauchen in bestimmten Bereichen wie beispielsweise an Türen oder in der Mitte der Tera-Raid-Arena Pokébälle im Boden auf – manche Leute haben dabei sogar komplett andere Pokémon dekorativ in der Gegend stehen sehen. Bei all den Patzern wundert es nicht, dass selbst manch beabsichtigte Witze wie das sturmbedingte Wegwehen von durch die Luft springenden Pokémon oder die ulkige Laufanimation der Team Star-Feueranführerin Irsa (die bei derartig unpraktischen Stiefeln nicht anders laufen könnte!) wie Fehler wirken. Da sind die stellenweise auftretenden Ruckler, die mir im hauptsächlich gespielten Handheld-Modus untergekommen sind, fast schon das geringste Problem.
Fazit: Tjark Michael Wewetzer [Alanar]:In meinem Test von Pokémon Schwert und Schild nannte ich die Naturzone einen „Testlauf für ein vollständiges Pokémon-Spiel in diesem Stil“ (zum Test). Dass ich mit dieser Vermutung dermaßen richtig liegen würde, hätte ich nicht gedacht – auch wenn das Ergebnis in Form von Pokémon Karmesin und Purpur leider immer noch wie ein Probelauf wirkt. So finde ich es löblich, dass die Spielstruktur des zweiten DLCs (zum Test) ausgebaut wurde und es mehrere Ziele gibt, denen ich nachgehen kann. Doch wenn das Spiel in den Dialogen gefühlt ständig die enorme Freiheit betont und schlussendlich nur eine Checkliste auf die Karte setzt, wie sie aus jedem beliebigen Open-World-Spiel hätte stammen können, dann komme ich mir dezent veralbert vor. Klar kann ich die Punkte theoretisch in beliebiger Reihenfolge abklappern, doch es gibt immer noch einen vorgesehenen Weg, der durch die Pokémon-Level vorgegeben wird. Wie cool wäre es gewesen, wenn etwa die Arenaleiter entsprechend der Ordernanzahl des Spielers ein anderes Team nutzen würden? Oder wenn sich die Levelgrenze der Pokémon-Beherrschung nicht nur über die Orden erhöhen lassen würde? Oder die Team Star-Begegnungen nicht fünfmal das gleiche Minispiel wären? So treiben die Herrscher- und Schurkenkämpfe minimal die Story voran, bieten mir jedoch nichts, was spielerisch in irgendeiner Form spannend wäre. Das könnte die sonst freie Erkundung der Paldea-Region natürlich wieder wettmachen und es ist zugegebenermaßen schon unterhaltsam, frei von irgendwelchen eingeschränkten Pfaden durch die Landschaft zu ziehen und Pokémon aufzulauern. Allerdings fühlt sich der Pokémon-Fang im Vergleich zum kurzweiligen System von Pokémon Legenden wieder rückschrittig an und die stattdessen implementierten Auto-Kämpfe frustrieren mich mit Kleinigkeiten wie der fehlenden Möglichkeit des Attacken-Managements beim Levelaufstieg meines Teams. Nicht zuletzt fand ich, dass erstaunlich wenige Trainer unterwegs waren und selbst die vorhandenen dank weniger Pokémon in ihren Teams nicht lang unterhielten.
Und all diese Probleme verblassen im Angesicht des technischen Zustandes: Zwar verlief meine Reise vergleichsweise glimpflich, doch diverse Schönheitsfehler wie durch den Boden blickende Kamerawinkel, allgegenwärtige Pokébälle in den Böden oder seltsames Schattenverhalten sind auch mir untergekommen. Von den ausbaufähigen Multiplayer-Möglichkeiten, eingeschränkten Outfit-Anpassungen und der mittelmäßigen Picknick-Mechanik brauche ich da gar nicht erst anfangen. Versteht mich nicht falsch: Pokémon Karmesin und Purpur können Spaß machen und die gröbsten technischen Fehler ließen sich auch freilich durch Updates beheben. Paldea hat auch so trotz seiner vergleichsweise geringeren Detaildichte zahlreiche schöne Ecken, die ich gern abgelaufen bin. Die neuen Pokémon-Designs gefallen mir fast durch die Bank weg gut (besonderen Gruß an BACKEL!), weswegen ich im Laufe der Reise auch einige Male meine Teammitglieder auswechselte, einfach weil ich immer wieder über ein interessantes Taschenmonster stolperte. Aber selbst wenn die Technik nach einigen Updates mitspielen sollte, bleibt letztenendes ein linear geplantes Rollenspiel, das lieblos in eine leere offene Welt gesetzt wurde, aus welcher ich abseits von Blasen an den virtuellen Füßen nur wenig mitnehme. Pokémon kann als Open-World-Rollenspiel funktionieren. Doch dafür braucht es mehr als einen hastigen Umbau aufgrund von Zeitdruck aus der Chefetage.
Sebastian Mauch [Paneka]:Oh Junge … Tjark ist definitiv der leidensfähigere von uns beiden und vergibt lediglich eine 45%-Wertung - das soll schon was heißen! Bei mir sieht es allerdings anders aus, da ich gegenüber technischen Mängeln und instabilen Framerates extrem empfindlich bin. Versteht mich aber bitte nicht falsch: Gut umgesetzte 30 FPS wie in einem actionbepackten und recht ansehnlichen Spiel wie Monster Hunter Rise können durchaus entzücken! Hier reden wir aber laut diverser Analysen von 15 bis 30 FPS, wobei letzteres eher selten erreicht wird. Hinzu kommen die quasi von Beginn an auftretenden Beleuchtungs- und Schattierungsfehler. Es flackert und blinkt in allen Ecken, was bei der ohnehin schon recht geringen Auflösung und der fehlenden Kantenglättung für ein extrem unruhiges Bild sorgt. Texturen sind extrem verwaschen und lieblos, dann stellenweise aber wieder extrem detailliert und hoch aufgelöst - ein Problem unter dem schon Legenden: Arceus litt. Dort konnte ich aber durch den schicken malerischen Artstyle und das geniale Gameplay locker darüber hinwegsehen, weshalb selbst ich Technikfetischist seit Minute Eins süchtig war und nach wenigen Tagen den Pokédex komplettierte. Bei Purpur wollte ich jedoch am liebsten sofort mein Geld zurück und war voller Reue, suchte dann aber doch noch an die 15 Stunden nach Spaß, den ich letztlich nicht finden sollte. Es wirkt einfach alles sehr anspruchslos, leer, generisch, und an allen Enden wird klar, dieses Spiel hätte noch ein paar Jahre gebraucht und wäre dann vermutlich richtig gut geworden. Im Gegensatz zu Tjark habe ich mein Spiel für 60 Euro im eShop erworben und werde nun versuchen diese zurückzubekommen. Pokémon Karmesin und Purpur sind nämlich dermaßen unfertig ausgeliefert worden, dass nun bereits immer mehr Berichte im Netz auftauchen, dass Nintendo reihenweise Käufe zurückerstattet. Ein Meilenstein, den ich so noch nicht erlebt habe.
Zum Nachsitzen verdonnert: Sebastian Mauch [Paneka] und Tjark Michael Wewetzer [Alanar] für PlanetSwitch.de
Vielen Dank an Nintendo für die freundliche Bereitstellung des Reviewcodes.
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Das sollte keine Schule machen: Durchwachsenes Open-World-RPG mit im Grunde spaßigem Kern, aber mittelmäßig umgesetzten Ideen und Technik-Macken.
Wertung
STORY:
7.0
SPIELWELT:
5.0
TECHNIK:
3.0
45 von 100
Weitläufige, frei begehbare Spielwelt
Kreative Pokémon-Designs
Interessante Pfad-Geschichten
Angenehm beschleunigte Raids
Diverse hübsche Ecken …
Lieblos mit Zielen gefüllte Karte …
… die indirekt immer noch eine angedachte Lauflinie vorgibt
Komplett halbgar
Aber Autobattle is echt ne coole Funktion haha
Wenn wir die alten Mons wiederbekämen...